10.

»Glaubst du denn, ich wüßte nicht, wie alle mich auslachen? Weil ich mich nicht so fein ausdrücke und nichts von Mode und Eleganz verstehe, bin ich doof.« Sharleen Augen standen voll Tränen. »Ich weiß es doch. Aber ich setze mich darüber hinweg. Das hat mir meine Mutter geraten, wenn die Mädchen in der Schule über mich gelästert haben.«

Jahne nickte und reichte Sharleen ein neues Papiertaschentuch. Aus Mitleid war sie Sharleen in den Wohnwagen gefolgt, nachdem der Kameramann für den Abend sein schweres Gerät verpackt hatte. Zum ersten Mal waren die beiden jungen Frauen eine längere Zeit allein.

»Du hättest es vielleicht leichter, wenn wir den Text zusammen durcharbeiten würden.«

»Du meinst üben? Nur wir beide?«

Jahne lächelte. »Nicht üben, Sharleen: proben. Unter Schauspielern spricht man von proben.«

»Und das würdest du mit mir machen? Nein. Das kostet dich zuviel Zeit.«

»Ich mache es gern, Sharleen. Es wird mir auch helfen«, log Jahne. »Wer macht sich denn sonst noch über dich lustig?«

»Nun ja, allen voran natürlich Lila. Du weißt ja wie. Sie bringt mich immer total aus dem Konzept. Vielleicht ist sie selbst bloß nervös. Aber mich treibt es auf die Palme. Ich bemühe mich wirklich. Jeden Abend lese ich meinen Text. Nicht nur einmal. Oft. Ich spreche ihn auch laut vor mich hin. Dean hilft mir dabei. Er ist nicht sehr schlau. Das weiß ich. Aber ich bin ja auch nicht viel gescheiter als er. Jeder ist genervt, wenn eine Szene immer wieder gedreht werden muß. Ich gerate so schnell durcheinander und bin so wahnsinnig müde. Manchmal glaube ich, das Leben besteht für mich nur noch aus Unterricht und Arbeit ohne Schlaf. Da hilft es nicht, wenn Lila auch noch auf mir rumhackt.«

Jahne nickte grimmig. »Sie kann uns beide nicht leiden. Versuch, es dir nicht unter die Haut gehen zu lassen. Wer lacht denn sonst noch über dich?«

»Mr. Tilden, der zweite Regisseur. Er hat mich neulich >Elly May Clampett< genannt. Da haben sie alle gelacht.« »Versteh ich nicht.«

»Von den Beverly Hilbillies, der Show. Du weißt schon.« Barry Tilden war ein verbitterter, komischer, älterer Schwuler. Er hätte Sharleen nicht vor der ganzen Mannschaft blamieren dürfen. Damit stempelte er sie zum Sündenbock.

»Ich weiß ja, daß mich alle für doof halten. Aber ich bin weder taub noch stumm noch blind«, schluchzte Sharleen.

»Nein, das bist du nicht.« Jahne gab ihr ein frisches Kleenex. »Du bist auch kein Kind mehr. Du hast Macht. Wenn Barry Tilden dich beleidigt, kannst du ihn rauswerfen lassen.«

Sharleen hob den Kopf. Das lange silberblonde Haar umrahmte ihr verweintes Gesicht. Trotz der geröteten Augen und der Tränen war sie hinreißend schön. Jahne hatte noch nie eine Frau gesehen, die durch Weinen schöner wurde. »Das würde ich nie tun«, entsetzte Sharleen sich. »Er ist doch Lohnempfänger. Vielleicht muß er noch mehrere Kinder ernähren.«

»Es geht nicht darum, daß du es tust, sondern tun könntest, wenn du wolltest. Du bist für die Serie unersetzlich. Die Jobs der ganzen Truppe, einschließlich den Technikern, stehen und fallen mit uns dreien. Darum hat niemand das Recht, sich über dich zu amüsieren. Du kannst sie schon arbeitslos machen, indem du Marty oder Sy sagst, daß du sie nicht mehr sehen willst.«

»Bist du schon mal rausgeschmissen worden?« fragte Sharleen düster.

Jahne log und schüttelte den Kopf.

»Aber ich. Und es ist ein beschissenes Gefühl, wenn man Miete zahlen muß und kein Geld für Lebensmittel hat.«

Jahne lächelte Sharleen an. »Du bist wirklich nett. Wie gesagt, ich will nicht, daß du Barry vor die Tür setzen läßt. Laß ihn nur merken, daß du das könntest.«

Sharleen dachte darüber nach. »Wie denn?«

»Sieh ihn mit einem Blick an, der sagt: >Reden Sie nie wieder so mit mir<. Er ist ein Mistkerl, aber nicht dumm. Er hört schlagartig damit auf. Garantiert.«

»Vielleicht bei dir und Lila, aber nicht bei mir.«

Jahne konnte Sharleens Naivität nicht fassen. Sie fragte weich: »Weißt du nicht, daß du die größte Sensation seit der Stummfilmzeit bist? Du bist eine ganz heiße Nummer. In dieser Minute lassen sich zahllose Mädchen das Haar wie du schneiden, versuchen, eine Jacke wie deine zu kaufen. Frauen nennen ihre Babys Sharleen. Ist dir das nicht klar?«

»Das glaub ich nicht.«

»Es stimmt aber.« Jahne holte tief Luft. »Liest du denn keine Zeitschriften? >Sharleens drei Schönheitsratschläge für junge Mädchen<; >Sharleen führt die neue Mode vor<; >Wie finden Sie Sharleen Smith?<. Das sind nur einige Artikel über dich. Du bist als Star so begehrt wie du nur sein kannst. «

»Weißt du, Dean und ich gehen nicht viel aus, und wir sind beide keine Leseratten.«

»Trotzdem mußt du wissen, was um dich herum passiert. Die Leute wollen alles über dich wissen. Auch diese Laura Richie, die diese Kolumnen schreibt. Die können gar nicht genug über dich herausbekommen. Was du zum Frühstück ißt, wieviel du wiegst, wo du einkaufst, was deine Lieblingsfarbe ist.«

»Warum nur?«

»Das kann ich dir nicht beantworten. Vielleicht weil die Menschen sich einsam oder gelangweilt fühlen und wir ihnen etwas zum Nachdenken geben. Vielleicht betrachten sie uns auch wie ihre Nachbarn. Viele brauchen jemanden, zu dem sie aufsehen oder für den sie sich begeistern können.«

»Ich will aber nicht, daß sie alle herumschnüffeln!« rief Sharleen.

»Das ist der Preis. Du hast viel Geld und bist berühmt. Ein Privatleben hast du nicht mehr.« Sharleen wurde blaß. Sie erschrak bis ins Mark. Da wiegelte Jahne ab. »So schlimm ist das nicht, Sharleen. Du mußt nur bei Interviews aufpassen und in jedem Fall auf Diskretion in deinem Privatleben achten.«

»Was meinst du damit?« Sharleen sah aus, wie jemand, der sich gegen einen Schlag wehrt. Ihre Hand zitterte.

»Vertrau nicht jedem. Paß bei Journalisten auf. Vertraue dich niemandem von der Truppe an. Paß auf, mit wem du schläfst, damit du nicht auf einen reinfällst, der die Geschichte für tausend Dollar an die Presse verkauft. Führ kein Tagebuch, misstraue Kellnern und Friseuren oder Putzfrauen. Das meine ich. Sie könnten verkappte Reporter sein.«

»Und wenn ich schon mal nicht aufgepaßt habe?« fragte Sharleen kleinlaut.

An diesem Abend konnte Jahne lange nicht einschlafen. Doch sie war froh, zumindest allein zu sein. Der Sex mit Michael war im Endeffekt so unbefriedigend wie der mit Pete gewesen. Trotz Michaels Freundlichkeit, seines Geschenks und seiner netten Gesellschaft brachte sie keine tieferen Gefühle für ihn auf. Außerdem blieb im Grunde neben ihrer Karriere gar keine Zeit für ein Liebesleben. Ironie des Schicksals: Jetzt, wo sie begehrenswert war, konnte sie keinen Nutzen daraus ziehen.

Jahne schlief seit dem Abend schlecht, an dem sie Neil Morelli im Nachtclub erlebt hatte. Damals wäre sie am liebsten zu ihrem Freund gelaufen, hätte die Arme um ihn geschlungen und ihn getröstet. Sie hatte natürlich gelesen, daß er nach seiner Show keine zweite mehr im Fernsehen bekommen hatte. Doch daß er so tief gesunken war!

Neil kam mit Schicksalsschlägen dieser Art nicht zurecht. Dabei hatte er in seinem Leben schon genügend einstecken müssen. An dem Abend in dem Club hatte Jahne eingesehen, daß Neil nicht mehr zurück nach New York konnte. Er gehörte zu den Menschen, die die Brücken hinter sich abbrechen. Jahne neigte eher zum Beschwichtigen. Allerdings hatte sie nun auch die Brücken hinter sich zerstört.

Eine Lösung fiel Jahne in den frühen Morgenstunden ein. Sie rief Ortis an.

»Hallo!« begrüßte Sy sie gutgelaunt. »Sind Sie bereit für Ihren Filmtest für Birth of a Star? Meiner Ansicht nach vergeuden Sie damit nur Ihre Zeit. Ich habe momentan mindestens drei bessere Drehbücher.«

»Sy, im Augenblick rufe ich an, weil ich Sie um einen Gefallen bitten möchte.«

»Wird gemacht«, willigte Sy Ortis ein, bevor er Näheres erfuhr. Damit hatte Jahne auch gerechnet. Sie brauchte im Grunde gar nicht mehr um einen Gefallen zu bitten. Sie konnte fordern.

»In der Stadt arbeitet ein Stegreifkomiker. Ich habe ihn gesehen und finde ihn talentiert. Ich möchte, daß Sie ihn als Gast in Three for the Road bringen.«

»Ich werde mein bestes tun, Jahne. Wie heißt er?«

»Neil Morelli.« Am anderen Ende der Leitung herrschte lange Zeit Schweigen. »Sy, was ist denn? Haben Sie schon von ihm gehört?«

Endlich fand Sy seine Stimme wieder. »Ja, hab ich. Genauer, wir vertreten ihn. Wir haben ihn zumindest vertreten. Und wenn ich ehrlich sein soll, Jahne, glaube ich nicht, daß es etwas taugt, ihm momentan einen Job zu verschaffen. Der macht mehr Schwierigkeiten als er wert ist. Er ist aufbrausend oder einfach emotional instabil. Ein richtiges Arschloch. Er macht sich nur Feinde.«

Das wunderte Jahne nicht. »Tun Sie mir diesen Gefallen, ja?«

»Ich weiß nicht, Jahne. Schließlich bin ich nicht mehr für die Besetzung zuständig. Das macht Grasso. Vielleicht wollen sie ihn nicht.«

So ein Blödsinn, dachte Jahne. Als könnte Sy so etwas nicht erreichen. Sie vermied es möglichst, jemanden unter Druck zu setzen. Doch hier ließ es sich offenbar nicht vermeiden. »Sy, hören Sie mir mal zu. Ich habe gestern sehr schlecht geschlafen und muß für meinen Filmtest in Topform sein. Sie vertreten zwei der drei Stars in Three for the Road. Das dürfte Ihnen genügend Einfluß bei Grasso verschaffen. Ich möchte nur, daß Neil Morelli irgendwie in die Show eingebaut wird, vielleicht in einer fortlaufenden Folge. Nichts Großes, aber so bald wie möglich. Machen Sie mich glücklich, Sy.«

»Darf ich fragen, was Ihnen dieser Morelli bedeutet?«

Jahne war auf diese Frage vorbereitet. »Er ist der Freund von jemandem, den ich gekannt habe. Ich schulde ihr einen Gefallen.«

»Wie gesagt, ich werde sehen, was sich machen läßt.« Jahne verlor die Geduld. »Dies ist das erste Mal, daß ich Sie um einen Gefallen bitte, seit Sie mich unter Vertrag genommen haben. Erinnern Sie sich noch, daß Sie sagten, unser Vertrag lege beiden Seiten Verpflichtungen auf? Nun, momentan müssen Sie eine Verpflichtung erfüllen.«

Die schoenen Hyaenen
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